9. Etappe: Franz Josef
Nein, dass wir auf unserer Reise über die Südinsel in einem Ort landen würden, der nach einem österreichischen Kaiser benannt worden ist, hätten wir nicht gedacht. Als der deutsche Entdecker Julius von Haast 1865 einen der Gletscher in den Westlands nach Franz Joseph dem I. benannte, erbte der kleine Ort vor dem Gletscher den selben Namen.Und so endete die neunte Etappe unserer Reise eben in Franz Josef. Vorher hatten wir uns von den Shewans verabschiedet und waren vorbei an dem wunderschönen Lake Hawea, nördlich von Wanaka, in Richtung des Mount Aspiring National Park gefahren. Kurz bevor wir in die dicht bewaldete Gebirgsregion eintauchten, zwang uns ein verunglückter Motorradfahrer zu einer Pause. Auf "Logenplätzen" mussten wir mitansehen, wie er per Helikopter nach Queenstown geflogen wurde. Das dämpfte die Stimmung und brachte unseren Zeitplan ein wenig durcheinander.
Lake Hawea, Blick vom Makarora River auf den Mount Aspiring National Park, Blue Pools am Haast Pass
Dennoch stoppten wir am Haast Pass und den dortigen Blue Pools. Nach etwa 20 Minuten Spaziergang erreichten wir die klaren, gletschergespeisten Pools. Sie luden rein optisch zum Plantschen ein - waren aber saukalt. Und da wir es ohnehin eilig hatten, ging es weiter in Richtung Jackson Bay.
Diese raue Küstenregion ist nicht nur für Pingiune ein Paradies, sondern auch für Liebhaber von Fish and Chips. In einem kleinen Waggon wird in dem etwa drei Häuser und einen Hafen fassenden Dorf, überregional bekannt und gelobt, Fisch frittiert und zum Verzehr angeboten. Selbstredend ließen wir uns das (auf Helges Verlangen hin) nicht entgehen.
Gegend bei Jackson Bay, Strand an der West Coast, erster Blick auf den Fox Glacier
Zurück auf der Piste mussten wir mit Plum den Turbo-Gang einlegen, um rechtzeitig in unserem Hostel in Franz Josef anzugelangen. Nachdem wir unser Gepäck abgeladen hatten und uns wetter- und vor allem windfest angezogen hatten, schwangen wir uns wieder in den Polo. Das Ziel des heutigen Abends: Okarito. Das Zuhause des seltenen Okarito-Kiwis.
Angekommen an unserem Zielort, wurden wir von dem irischen Kiwi-Such-Experten Ian begrüßt, der beinahe euphorischer wirkte als wir sieben Teilnehmer zusammen. Bevor wir uns in den Urwald begaben, wurden wir von Ian auf ein Abenteuer eingestellt, bei dem nicht nur sein Können als Kiwi-Experte gefragt ist, sondern vor allem auch unsere Mitarbeit von besonderer Bedeutung ist. Jeder solle Augen und Ohren offen halten für jegliche Anzeichen eines nahenden Kiwis. Glücklicherweise erfuhren wir, dass Kiwis im Vergleich zu ihrem restlichen Körper besonders große Füße haben (25% ihres Körpergewichts), weswegen sie sich keinesfalls geräuschlos durch den Urwald bewegen, sondern verhältnismäßig viel Lärm machen. Darüberhinaus wurden uns die Laute der männlichen und weiblichen Kiwis vorgespielt, um sie später von den Rufen der neuseeländischen Eule (Morepork) unterscheiden zu können. Ians mitreißende Art hatte bereits nach wenigen Minuten auch den größten Kiwi-Muffel unter den Teilnehmern für unser abendliches Unternehmen motiviert, um "das beinahe Unmögliche möglich zu machen". Jeder wusste, dass unser Vorhaben "extremely difficult" sein würde. Auf einer Fläche von 100km² leben gerade einmal 385 Kiwis. Zudem ist um Okarito eine Kiwi-Spezies beheimatet, die Rowis oder Okarito-Brown-Kiwis, die an keinem anderen Ort auf der Welt zu finden sind. Dieses somit extrem seltene Lebewesen teilt sich jeweils mit seinem Partner ein Territorium, das ungefähr der Größe von sechs Fußballfeldern entspricht. Bei Einbruch der Nacht kommen Kiwis, die ungefähr so groß sind wie Hühner, aus ihren Höhlen gekrochen, in denen sie sich den ganzen Tag über aufhalten. Aufgrund eines ausgesprochen guten Geruchs- und Hörsinns können sie sich in der Dunkelheit sehr gut zurecht finden und sich auf Nahrungssuche begeben. Sollte sich dabei eine brenzliche Situation für den Kiwi ergeben, reagiert er mit einem der folgenden vier Verhaltensmuster, die im Englischen lustigerweise alle mit F beginnen: 1. Fight/Kämpfen: Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hält sich der Kiwi mit seinem Schnabel am Gegner fest und beginnt den Feind zu treten. 2. Flight/Flucht: Wenn alles nichts mehr hilft, heißt es einfach: Rückzug! 3. Feather/Feder: Um den Gegner für einen kleinen Moment in eine Art Schockzustand zu versetzen, kann der Kiwi von einem Moment zum nächsten den Gegner mit einem ganzen Haufen Federn beschießen. 4.Freeze/Erstarren: Um der Aufmerksamkeit des Gegners zu entrinnen, verharren Kiwis in einigen Situationen einfach für einige Zeit bewegungslos. Dank Ian hörten wir an diesem Abend jede Menge Fakten über Kiwis, von denen wir zuvor noch nie etwas gehört hatten.
Damit unsere Kiwi-Safari nun endlich starten konnte, fuhren wir mitten in den nahegelegenen Urwald und folgten einem kleinen Pfad. Helge und ich wurden von Ian dazu auserkoren, eine besondere Rolle einzunehmen. Wir waren seine Kontaktpersonen und sollten ihn bei der getrennten Suche nach Kiwis zu jeder Zeit über wahrgenommene Bewegungen in unserer näheren Umgebung informieren. Sobald ein Gruppenmitglied - unsere Gruppe bestand aus 7 Leuten plus Ian - eine Bewegung wahrgenommen hatte, sollte sich die gesamte Gruppe so schnell wie möglich an diesem Ort sammeln, um den Kiwi dabei zu beobachten, wie er den Pfad überquert. Aufgrund der großen Füße mache der Kiwi so viel Lärm, dass er ab einer Entfernung von etwa 30 Metern gehört werden könne.
Soweit die Theorie. In der Realität flogen uns pausenlos Mücken um den Kopf (die glücklicherweise durch ein Netz von unseren Gesichtern abgehalten wurden), sodass wir kaum andere Geräusche als das ständige Surren dieser Mistviecher wahrnehmen konnten. Wären wir einzig auf unsere Sinne angewiesen gewesen, hätten wir unser Ziel vermutlich weit verfehlt. Doch Ian hatte ein weiteres Ass im Ärmel: Da die Kiwis unter ständiger Beobachtung des DOC (Department of Conservation) stehen, trägt jeder Kiwi einen Transmitter, dessen Signal recht exakt geortet werden kann. Das nötige Equipment dafür hatte Ian bei sich.
Trotz der tollen Team-Lausch-Arbeit und Ians High-Tech-Ausrüstung standen wir 2 1/2 Stunden beinahe regungslos im Wald und hofften auf eine kurze Begegnung mit diesem possierlichen Tier. Immer wieder mussten wir uns im Gänsemarsch den Pfad hoch oder runter bewegen, da Ian das ersehnte Kiwi-Weibchen namens Beaumont wieder an einem anderen Ort vermutete. Jede Bewegung schien unendlich laut und barg die Gefahr, den Kiwi wieder zu verscheuchen. Dann endlich hörten wir ein recht regelmäßiges Stapfen durch das genau vor uns befindliche Gestrüpp. Ein Kiwi war nur noch wenige Meter von uns entfernt. Ian schaltete seine Rotlicht-Taschenlampe an und auf einmal streckte sich nur 2-3 Meter entfernt von uns ein langer Schnabel aus dem Gestrüpp. Wenige Sekunden später tappte, fast ein bisschen tollpatschig wirkend, die Kiwi-Dame über den Pfad und verschwand nach wenigen Sekunden wieder im dichten Urwald auf der anderen Seite. Für uns waren es wenige Sekunden puren Glücks. Einen Kiwi in freier Wildbahn zu sehen, ist wirklich etwas ganz tolles, besonders wenn man das Gefühl hat, dass man ihn in möglichst geringem Maß beeinflusst oder beeinträchtigt hat und er einfach das macht, was er auch sonst getan hätte.
Franz Josef Glacier und Lake Matheson
Heute Morgen ließen wir es erstmal ruhig angehen und genossen den Sieg des FC Bayern über Arsenal. Als der vollständig ausgekostet war, fuhren wir zum nahegelegenen Franz-Josef-Gletscher. Zusammen mit dem benachbarten Fox-Gletscher ist dieser einer der am niedrigsten über Meereshöhe (circa 400 m) gelegene Gletscher mittlerer Breite. Das hat netterweise zur Folge, dass man in nur 45 Minuten Wanderung vom Parkplatz aus das Gletschertor erreichen kann.
Wasserfall im Gletschertal, Franz-Josef-Gletscher, Lake Matheson
Über Geröll und kleinere Steine, die der Gletscher irgendwann einmal im Tal abgeladen hat, ging es - vorbei an einigen Wasserfällen - bis auf 500 m an den Gletscher heran. Ohne Führer darf man nicht weiter, da die Gefahr zu groß ist, von plötzlich herabstürzenden Felsbrocken erschlagen zu werden oder in Gletscherspalten auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
Nachdem wir den Gletscher ausgiebig begutachtet und für schön befunden hatten, stiegen wir wieder ins Auto. Im Nachbarort Fox Glacier, der seinen Namen ebenfalls kreativerweise dem angrenzenden Gletschergebiet verdankt, bogen wir in Richtung Matheson-See ab. Dort machten wir eine eineinhalbstündige Wanderung um den See herum, picknickten und kehrten zu einem Kaffee ein. Bei einer Rast hatten wir übrigens ein Ehepaar aus Deutschland getroffen (beide in Kassel geboren, haben dort studiert und ihrem Professor Arnold Bode bei den Vorbereitungen zur ersten documenta geholfen). Heute wohnen sie in Australien.
Fox-Gletscher
Auch wenn unser toller Urlaub nun dem Ende entgegen geht,
hatten wir ein letztes Highlight für den heutigen Tag geplant. Wir machten uns
morgens in Franz Josef auf den Weg, um pünktlich um 9:00 Uhr in Fox Glacier
Town anzulanden. Dort versammelten wir uns mit anderen Reisenden im Gebäude des
örlichen Gletscherführungsveranstalters.
Nach einigen einleitenden Worten wurden wir von unseren
Guides Sam und Eli mit Wanderschuhen und Steigeisen ausgerüstet - und ab ging
es Richtung Gletscher. Vom Parkplatz führte ein Wanderweg hin zu dem Punkt, an
dem für die "Normalos" Schluss ist. Ab hier darf man nur noch unter professioneller
Führung weitergehen. Nach etwa einer Stunde hatten wir zum ersten Mal Eis unter
den Sohlen.
Der Fox Glacier ist, zusammen mit dem Franz-Josef-Gletscher,
einer der wenigen Gletscher, die noch bis Ende der 90er Jahre wuchsen. Während
er 1988 winzig klein und kurz vor dem Verschwinden war, begann er in den
darauffolgenden Jahren stetig zu wachsen. 1998 erreichte er die größte Fläche
seit etwa hundert Jahren - von da an ging es aber dem globalen Trend folgend
bergab. Eine riesige von Felsen bedeckte Fläche unterhalb des Gletschers sowie
an den ihn umgebenden Berghängen lässt nur noch erahnen, wie groß der Gletscher
2008 war. Momentan verliert er ungefähr 200 Meter Länge und 20 Meter Höhe pro
Jahr.
Bilder von der Wanderung auf dem Fox Glacier
Dass wir also noch eine gute Stunde auf dem Gletscher
herumspazieren konnten, sollte man nicht als selbstverständlich hinnehmen. Und
wir genossen jede Sekunde von unserer Gletscherwanderung. Immer wieder schlug
Sam an steilen Stellen mit einem Eispickel Stufen in das Eis. Und wir Touris
waren darüber mehr als froh. Denn trotz der Hilfsmittel unter unseren Füßen,
fühlten wir uns nicht besonders sicher auf dem höllisch glatten Terrain.
Vorbei ging es tiefen mit Wasser gefüllten Gletscherspalten
(an einigen Stellen konnte man das Schmelzwasser sogar unter seinen Füßen
durchrauschen hören), riesigen von Wind und Wetter ausgewaschenen Wänden und an
beinahe künstlich wirkenden Eisgebilden. Am Ende unserer Tour durchquerten wir
noch eine dieser Gletscherspalten und kehrten dann wieder auf festen Boden
zurück.
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